Eduards Traum - Abschnitt 14

“Und Lust und Leid des Herzens”, forschte ich weiter, “sind die gleichfalls Bewegung?” “Gewiß!” erhielt ich zur Antwort. “Nur schraubenförmig!” Damit nahm er vom Gesimse ein zierliches Gestell, worin horizontal ein Pfropfenzieher lag, den man vermittelst einer Kurbel in drehende Bewegung setzen konnte. “Nur zu!” rief ich erwartungsvoll. Er schloß das linke Auge und fixierte mich blinzelnd mit dem rechten. “So geht es noch nicht!” sprach er zögernd. “Denn wie ich bemerke, mein Lieber, ist Eure Konstitution etwas anders beschaffen, als wie es sonst üblich ist. Drum bitt ich, zuvörderst hier Platz zu nehmen in dem Sessel der höheren Empfindsamkeit!” Dies war ein ungemein weich gepolsterter Lehnstuhl. Ich lieg mich darauf nieder. Der Meister näherte sich mit der Schraube und fing an vorwärtszudrehen.
Ein unsagbar peinliches Gefühl durchbohrte mein innerstes Wesen. Ich hätte laut aufschreien mögen. Es war, als wäre meine alte Großtante gestorben. “Der Schmerz ist positiv!” sprach der Meister gelassen. Und nun drehte er rückwärts. Der Schmerz ließ nach. Es durchströmte mich wie ein großes, unerwartetes Giück. Es war, als hätte mir die Selige eine halbe Million vermacht. “Die Freude ist negativ!” erklärte der Meister, indem er die Seelenschraube wieder an ihren Platz stellte. Um die Geduld des freundlichen Gelehrten nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen, hielt ich es jetzt für angemessen, mich bestens zu empfehlen. “Noch eins!” sprach er und führte mich an seinen Schreibtisch.

In einem großen Glase voll Spiritus saß ein wunderliches Geschöpf, welches die größte Ähnlichkeit hatte mit einem überreifen Kürbis, woran unten, scheinbar als Gliedmaßen, ein paar kümmerliche Ranken hingen. “Dies”, so demonstrierte der Meister, “ist der Mensch von vor tausend Millionen Jahren, ehe er herabsank zum verächtlichen Lanzetttierchen, von welch letzterem wir uns wenigstens in der Gegenwart so weit wieder aufgerappelt haben, daß wir hoffen dürfen, auch in der Zukunft nochmal wieder etwas Rechtes zu werden.” “Schön ist er nicht!” meint’ ich enttäuscht. “Aber schlau!” fiel mir der Forscher ins Wort. “Ich hab ihm den Kopf visitiert. Die zweifelhafte Unterscheidung zwischen hier und dort, zwischen heute und übermorgen, die uns jetzt so viele Verlegenheiten bereitet, gab”s damals nicht; die Frage, ob zwei mal zwei vier sei, oder sonst was, lieg man unentschieden; und was die Gegensätze der Geometrie betrifft, so kann ich wenigstens so viel mit Bestimmtheit versichern, daß zu jenen Zeiten die krümmste Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten war.” Hier machte der Naturphilosoph eine Pause, die mir Zeit ließ, ihm meine Bewunderung auszudrücken und zugleich noch ein weiteres Problem zu berühren. “Hochverehrtester!” hub ich an. “Darf ich mir zum Schluß noch eine kleine Anfrage gestatten?” Er nickte verbindlich. “Wie fragt’ ich, “steht es mit der Ethik? Was muß der Mensch tun, daß es ihm schließlich und ein für allemal gut geht?”

Ohne sich lange zu besinnen öffnete der Weise eine Schublade, nahm eine Flöte heraus, schob sie auf seine Nase, kniff den Mund zu, blies die Backen auf und fing an zu fingern und zu trillern und zu quinquilieren, wie ein geschulter Kanarienvogel, der auf der Geflügelausstellung den ersten Preis gekriegt hat. Als er hiermit aufgehört, fragte er kurz: “Verstanden? Überzeugt?” “Nicht so ganz!” gab ich verlegen zur Antwort. Nun begann er auf”s neue, indem er abwechselnd sang und flötete und dabei den Kopf gar gefällig von einer Seite zur andern wiegte:

“Wer nicht auf gute Gründe hört,
trideldi!
Dem werde einfach zugekehrt
trideldi!
Die Seite, welche wir benützen,
Um drauf zu liegen und zu sitzen,
triddellitt!”

Hiermit brach er kurz ab, legte die Flöte beiseite, drehte sich um, wickelte sich stramm in seinen Schlafrock, nahm eine gebückte Stellung an, krähte wie ein alter Cochinchinagockel und verschwand im Hinterstübchen. Die Papageien krähten gleichfalls. Einen Augenblick stand ich starr. Dann entfernt’ ich mich mit fabelhafter Geschwindigkeit.

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